Ein Experiment mit bedingungs-
losem Grundeinkommen,
Gendergerechtigkeit bei der
Digitalisierung, eine Kunstinter-
vention in einer Fabrik:
Nachrichten aus der Arbeitswelt.
Von Harald Klauhs

Erfolg
statt
Leistung

Nikolaus Dimmel, Karl Immervoll, Franz Schandl
Sinnvoll tätig sein
Wirkungen eines Grundeinkommens.
210 S., brosch., € 29,90 (ÖGB Verlag,
Wien)
Beatrix Zobl, Wolfgang Schneider
Company
Fotografien und Fragmente über das
Arbeiten. 296 S., brosch., € 39,95 (De
Gruyter Verlag, Berlin)

Weil des Leb’n is Arbeit und de
bringt eam um“, so der Re-
frain in Willi Resetarits’ Ballade über seinen Vater.
Schlimmer als die Arbeit ist
nur – keine zu haben. Das wussten die „Arbeitslosen von Marienthal“, über die MarieJahoda 1933 eine bahnbrechende sozialwissenschaftliche Studie erstellte, und das wis-
sen jene von Heidenreichstein, die an demSozialprojekt „Sinnvoll tätig sein“ (STS) teilgenommen haben. Bei diesem vom Juristen
und Universitätsprofessor Nikolaus Dimmel, dem Theologen und Betriebsseelsorger Karl Immervoll sowie dem Historiker und Publi-
zisten Franz Schandl organisierten Experiment wurde 44 langjährig Arbeitslosen im Waldviertel 18 Monate lang ein Grundein-
kommen in Form einer AMS-Geldleistung ausbezahlt – ohne Gegenleistung zu verlan-
gen. Man wollte sehen, was passiert, wenn man Menschen des permanenten Nachweises ihrer Arbeitswilligkeit enthebt. Angehal-
ten wurden sie allerdings, sich in dieser Zeit zu überlegen, was sie tatsächlich tun wollen.
Vorbild für dieses Projekt war das finnische Modell des Grundeinkommens, bei dem
2000 Arbeitslosen zwei Jahre lang 560 Euro pro Monat bedingungslos auf ihr Konto über-
wiesen worden waren. Eine Auswertung steht bei den Finnen noch aus, die Österreicher
haben bereits ein Resümee ihres Projektsv orgelegt: „Sinnvoll tätig sein – Wirkungen des Grundeinkommens“ heißt die lesenswer-
te Studie. Darin kommen nicht nur die Projektbetreiber, sondern auch Teilnehmerinnen zu Wort. Anita Zimm etwa, Mutter von drei
Kindern, notierte am Ende Folgendes in ihr Tagebuch: „An Arbeit mangelte es mir in all der Zeit nicht. Ich habe einen Teil meiner
Zeit ehrenamtlichen Tätigkeiten gewidmet und innerfamiliäre und nachbarschaftliche
Hilfestellungen geleistet.“ Die Aussage ist durchaus repräsentativ.
Vordringliches Ziel des Unternehmens war nicht, die Arbeitslosen in Lohn und Brot
zu bringen, sondern sie von Drangsalierung, Deklassierung und Disziplinierung zu entlasten und zur Selbstermächtigung anzuleiten.
Denn, wie Franz Schandl schreibt, „Arbeitslosigkeit ist kein Mangel an Tätigkeit, sondern ein gesellschaftlich bedingter Mangel an
Kaufkraft, sprich Geld. Man gehört nicht sorecht dazu, weil man seine Pflicht als Käufer
von Arbeitsleistungen und Verkäufer von Arbeitskraft nicht erfüllen kann.“ Die Absichtdes Experiments war, sozial isolierten Men-
schen, die sich ungern in der Öffentlichkeit blicken lassen, weil sie als Konsumenten aus-
fallen, die Chance zur Teilhabe zu verschaffen. Sie sollten die Möglichkeit bekommen,
sich ernsthaft zu fragen: Was ist mein Weg? Urchristlicher Ansatz
Im Hintergrund steht ein urchristlicher Ansatz, den Franz Schandl so formuliert: „Ihr seid wer, ohne dass ihr was sein müsst.“ An-
ders gesagt: Der Wert des Menschen bemisst sich nicht an seiner „Leistung“. Diese Haltung ist angstbefreiend. Das ließ sich empi-
risch nachweisen: Im Verlauf der zuletzt 20 Monate des Unternehmens wurden die Teil-
nehmer offener, gesprächiger, entspannter – und damit auch kreativer. Man lernte sich kennen und schätzen. Sozialromantiker aller-
dings seien gewarnt: Das Projekt lässt nicht den Schluss zu, im bedingungslosen Grund-
einkommen ein soziales Allheilmittel zu erkennen. Ein Großteil der STS-Teilnehmer ist
nicht in die Erwerbstätigkeit zurückgekehrt. Nur 15 der 44 Probanden haben einen Ar-
beitsplatz gefunden, sich selbstständig gemacht oder eine Ausbildung begonnen. Aber
so gut wie alle waren weniger gehemmt und trauten sich mehr zu. Es wurden also „freie-
re“ Bürger geschaffen. Angeblich ein Ziel der Politik. Tatsächlich ist Angst jedoch ein wir-
kungsvolles Machtinstrument, mit dem sich trefflich Politik machen lässt.
Etwaige geschlechtsspezifische Unter- schiede wurden beim STS-Projekt nicht un-
tersucht. Um die geht es beim „Equal Digita-
lent Project“, das von der Katholischen So-
zialakademie Österreichs mit der Universität
Liechtenstein, der WU Wien und der Hoch-
schule für Wirtschaft und Recht in Berlin
durchgeführt wurde. Die Katholische Sozial-
akademie hat dazu das Dossier „digital + ge-
schlechtergerecht“ herausgegeben.